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Nordkirchen

Geschichte:

Die urkundlich gesicherten Anfänge von Nordkirchen reichen bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zurück. Seit 1275 lässt sich in Nordkirchen die niederadelige Familie von Morrien nachweisen. Der Ritter Johann I. von Morrien entstammt einer Nebenlinie der Herren von Lüdinghausen und ist als Lehnsinhaber des Haupthofs "Ithari", eines Lehens der Reichsabtei Werden in Nordkirchen bezeugt. Johann II. von Morrien erlangte 1347 die Lehen zu Nordkirchen auf Lebenszeit sowie 1350 von den Herren der benachbarten Münster`schen Landesburg Rechede die Würde eines Marschalls des Hochstifts. Im Spätmittelalter war mit diesem Amt der Vorsitz auf den Landtagen des Hochstifts Münster verbunden. Mitglieder des Hauses Morrien hatten das Marschallamt bis zum Aussterben der Familie im Mannesstamm 1691 inne.
Johann III. von Morrien, der 1398 seinen Wohnsitz in die Nähe des Dorfes Nordkirchen verlegte, begann mit dem Bau einer neuen Burg. Unter Gerhard III. (1490-1559) entstand schließlich ein repräsentativer Renaissancebau, an dessen Stelle ab 1703 das heute existierende Barockschloss trat.
Die nachgeborenen Söhne der Familie von Morrien erlangten ab dem 16. Jahrhundert einflussreiche Positionen innerhalb des Münster`schen Domkapitels. Als problematisch erwies sich jedoch das Sympathisieren einzelner Familienmitglieder mit der neuen Lehre Luthers. Johann IV. (1597-1628) führte den Freiherrentitel und ehelichte 1623 Anna Sophia Gräfin von Limburg-Styrum zu Borculo (1602-1669). Im Dreißigjährigen Krieg diente er als Oberst unter dem lutherischen König Christian IV. von Dänemark und warb für den Monarchen Truppen an. 1691 erlosch die Familie von Morrien und der Münster`sche Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg (1644-1706; Regentschaft ab 1688) erwarb für 250.000 Taler für seine Familie den Morrien`schen Besitz zu Nordkirchen. Mit Nordkirchen gründete er eine Familienstiftung und leitete 1703 den repräsentativen Neubau des Schlosses ein. Die Anlage wurde unter dem Freiherrn Ferdinand von Plettenberg weiter ausgebaut. Bedingt durch die Verwicklung des Freiherrn Ferdinand von Plettenberg in die Affäre um den Duelltod des Deutschordenskomturs von Roll 1733, vollzog sich der rasche Niedergang des in Nordkirchen ansässigen Familienzweiges. Ein Verwandter Ferdinands, Friedrich Christian von Beverförer-Werries (1702-1768) hatte im Duell den Komtur von Roll, einen engen Vertrauten des Münster`schen Fürstbischofs Clemens August von Wittelsbach getötet. Ferdinand von Plettenberg wurde aus fürstbischöflichen Diensten entlassen und Schloss Nordkirchen wurde besetzt. Nach dem Tod Ferdinands lebte dessen Sohn, Franz Joseph (1714-1779) in Wien. 1768 übernahm Graf Clemens August von Plettenberg (1742-1771) den Besitz. Im 19. Jahrhundert diente Schloss Nordkirchen Maria von Plettenberg und ihrem Gatten, dem ungarischen Magnaten Nikolaus Franz Graf Esterhazy (1804-1885) als Wohnsitz. Ihr Sohn, Nikolaus Josef von Esterhazy (1839-1897) gründete 1868 in Nordkirchen ein Gestüt für Rennpferde. Für 6 Millionen Goldmark wechselte Nordkirchen 1903 in den Besitz des Engelbert Maria Herzog von Arenberg (1872-1949), der die Anlage bis 1906 modernisieren ließ. 1921 wurde das Schloss an die Post verpachtet, die dort ein Erholungsheim unterhielt. Zur Zeit des Nationalsozialismus beherbergte Nordkirchen 1933 eine Reichsführerschule. 1949 mietete das Land NRW das Schloss als Schulungsstätte für Finanzbeamte an. In Etappen erfolgte schließlich 1958 bis 1973 der Ankauf des Objekts, um 2002 dort eine Fachhochschule für Finanzen einzurichten.
(Jens Friedhoff)

Bauentwicklung:

Zuverlässige Angaben über die spätmittelalterliche Burganlage der Herren von Morrien im 14. Jahrhundert liegen nicht vor. Wesentlich günstiger ist die Überlieferung zu dem spätmittelalterlichen Bau des frühen 16. Jahrhunderts, der unter Gerhard III. von Morrien (1490-1559) ab 1520 aufgeführt wurde. Als Baumeister stand Henric de Suer aus Coesfeld in Diensten Gerhards. Für den Dietrich von Morrien (1495-1560), den Bruder des Auftraggebers, errichtete der Architekt in Horstmar den Borchhorster Hof. Darüber hinaus war Henric de Suer mit Arbeiten am Falkenhof in Rheine sowie mit dem Bau des Schlosses Herten betraut. Aufschlussreich ist vor allem eine von dem Architekten Peter Pictorius d. J. (1673-1735) angefertigte Vogelschauansicht, die den Nordkirchener Bau des frühen 16. Jahrhunderts vor seinem Abbruch 1703 zeigt. Deutlich erkennbar sind die Parallelen der Hauptburg zu Schloss Herten. Nach Plänen des Barockbaumeisters und Ingenieurs Gottfried Laurenz Pictorius (1663-1729) entstand nach dem Übergang des Besitzes an die Familie Plettenberg ab 1703 das repräsentative Barockschloss, dessen gestaffelte Grundrissgestalt Parallelen zum französischen Schloss von Versailles erkennen lässt. Als Vorbild für den barocken Neubau von Nordkirchen wird in der kunstgeschichtlichen Literatur auf das ab 1685 im Auftrag des englischen Königs Wilhelm III. von Oranien errichtete Schloss Het Loo bei Apeldoorn verwiesen. Die 1712 unter dem Freiherrn Ferdinand von Plettenberg 1712 vollendete Schlossanlage beeindruckte nicht nur durch ihre Dimensionen sondern ebenso durch die erlesene Ausstattung. Unter der Vormundschaft des Dompropstes Ferdinand von Plettenberg (1650-1712) wurde der Festsaal mit Deckenfresken versehen. 1710/11 lieferte die Brüsseler Manufaktur Auwercx Tapisserien mit Bildern mit Bezug zu den antiken Werken Odysseus und Telemach. Die Gobelins wurden 1914 nach Belgien verbracht.
Nach Plänen des Peter Pictorius entstand im Umfeld des Schlosses eine Orangerie. Der Bildhauer Johann Wilhelm Gröninger aus Münster schuf 1722 Skulpturen für den barocken Garten. Unter der Bauleitung des Architekten Johann Conrad Schlaun wurde u. a. von dem Münchener Gartenarchitekten Dominique Girard (gest. 1738), der u. a. in Nymphenburg, Schleißheim sowie im Schloss Belvedere des Prinzen Eugen von Savoyen in Wien tätig war, der Garten zu Nordkirchen neugestaltet. Johann Conrad Schlaun stockte die Orangerie auf und errichtete eine neue Orangerie sowie eine Fasanerie. Der Speisesaal des Schlosses wurde von den führenden Bonner Hofkünstlern Johann Adolph Biarelle und dem Kunstschreiner Heydeloff ausgestattet. Ferner waren in Nordkirchen die Stukkateure Morsegno und Castelli tätig.
Der nördliche Garten von Nordkirchen wurde von dem Düsseldorfer Landschaftsarchitekten Maximilian Weyhe (1775-1846) in einen englischen Landschaftsgarten umgestaltet. Nach dem Übergang an die Herzöge von Arenberg wurde die gesamte Schlossanlage 1903-1906 für 200.000 Goldmark modernisiert.
(Jens Friedhoff)

Baubeschreibung:

Zur Anlagegestalt der spätmittelalterlichen Gründungsanlage des Schlosses Nordkirchen sind keine Aussagen möglich. Günstig ist hingegen die Überlieferungssituation zu der ab 1520 unter Gerhard III. (um 1490-1560) errichteten mehrteiligen Schlossanlage, für die der Bauherr Henric de Suer als Baumeister verpflichten konnte. Erhalten haben sich ein von P. Pictorius d. J. vor dem Abbruch 1703 geschaffener kolorierter Vogelschauplan sowie eine von G. L. Pictorius um 1697/1700 angefertigte Vermessungsskizze des Alten Schlosses. Bei der an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit geschaffenen Anlage handelt es sich um eine mehrteilige Wasserburg, bestehend aus einem, die zweiteilige Burg umfassenden breiten Außenwall mit vier niedrigen gedrungenen Rundtürmen, die für eine Verteidigung mit Geschützen ausgerichtet waren. Auf dem Areal der Vorburg fanden zwei mächtige giebelständige Wirtschaftsgebäude, das Torhaus und eine Kapelle Platz. Die Hauptburg präsentierte, wie das typologisch verwandte, ebenfalls Henric de Suer zugeschriebene Wasserschloss Herten, eine geschlossene Vierflügelanlage mit zwei flankierenden Rundtürmen an der Feldseite des Haupttraktes. Hofseitig tritt vor die Fassade des zweistöckigen Hauptflügels ein dreigeschossiger Treppenturm mit markanter Turmhaube.
Die 1703 begonnene und 1719 im Wesentlichen vollendete barocke Schlossanlage präsentiert sich dem das Schlossareal von Süden über eine lange Allee nähernden Besucher als großzügige, mehrfach gestaffelte Anlage, die die gesamte rechteckige Insel einnimmt. An den vier Ecken der Schlossinsel befinden sich oktogonale, über Kellergeschossen aufgeführte eingeschossige Pavillons, die die vier runden Türme auf dem Außenwall der Vorgängeranlage zierten. An der West- und Ostseite schließen sich querrechteckige eingeschossige Bauten mit Mansarddächern an. Der eigentliche Ehrenhof wird von einer niedrigen halbrunden Mauer im Süden begrenzt. An die den Ehrenhof flankierenden zweigeschossigen rechtwinkligen Mansarddachbauten, von denen der linke die prächtig ausgestattete Schlosskapelle enthält, schließen sich quadratische Pavillonbauten an, die jedoch erst in die Zeit nach 1910 datieren. Sie nehmen die Architekturformen des barocken Baus auf. Dem ebenfalls zweigeschossigen dreizehnachsigen Hauptflügel (Corps de logis) sind hofseitig zwei quadratische Pavillonbauten zugeordnet. Akzentuiert werden die Hoffassade sowie die rückwärtige Front durch je einen dreiachsigen Mittelrisalit. Die abwechslungsreiche Gesamtwirkung des Gebäudes wird insbesondere durch den Kontrast der Backsteinfassaden mit aufwendigen Sandsteingliederungen (Fenstergewände, bauplastischer Schmuck in den Giebelfeldern der Risalite etc.), erzielt.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die beeindruckende westliche Parkachse mit der von Johann Conrad Schlaun als Gartenkasino errichteten Oranienburg. Es handelt sich um einen zweigeschossigen neunachsigen Hauptbau mit leicht vorspringenden einachsigen Seiten und einem einachsigen übergiebelten Mittelrisalit. Charakteristisch für die von J. C. Schlaun angewandte Architektursprache sind die abgerundeten Gebäudeecken in Form von eingetieften Feldern.
(Jens Friedhoff)