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Ingenraedt

Geschichte:

In einer Steuerliste des Jahres 1369 wird im Kirchspiel Wankum ein "Deric in den Rade" erwähnt, den wir mit der Örtlichkeit, auf der später dann das Haus Ingenraede entstand, in Verbindung bringen dürfen. Wie der Name des Hauses schon andeutet, steht es im Zusammenhang mit Rodungen in der feuchten/sumpfigen Niersniederung. 1402 heißt es dann in den Schriftquellen "huys ende hoff". Dieses Haus lag im Gericht Wankum, das zum Amt Krickenbeck gehörte, welches als geldrisches Lehen sich seinerzeit in den Händen des Gerhard Ingen Raide befand. Es folgten auf Ingenraedt ab 1424 der Heinrich von Hertefeld, 1434 sein Sohn Johann. 1441 hatte die Witwe Agnes von Hertefeld den Besitz mit ihren Kindern zu teilen. Johann erhielt den "hoff inghen rade". Seine Geschwister waren Steven, Heinrich und Gertrud. Die Mutter bedingte sich u. a. das halbe Taubenhaus ("dat halue dueffhues") aus, wobei es sich um einen wehrhaften Speicherturm, ähnlich jenem auf dem Raveshof bei St. Hubert, Kr. Viersen, gehandelt haben könnte. Johanns Tochter Lisbeth brachte Ingenraedt mit in ihre Ehe mit Wilhelm von Bocholtz ein; ihre Belehnung ist für 1473 ("goet ingen Rade" ) belegt. Die von Bocholtz sind bis 1581 als Lehnsnehmer archivalisch fassbar. Sophia von Bocholtz heiratete den Werner Hundt zu Nuvenhoff. Wegen dem Gut Ingenraedt war er 1592 - hier letztmalig - im geldrischen Ritterzettel aufgeführt. Die drei Töchter des Paares verkauften das Haus 1626 an den geldrischen Rat Arnold de Haen und dessen Bruder Martin, der geldrischer Rentmeister war. In jenen Jahr wird das Haus als baufällig beschrieben und ein Jahr später der Neubau initiiert, der heute noch erhalten ist. Trotz der architektonischen Aufwertung vermochte Ingenraedt nicht mehr den Rittersitzstatus zu erlangen. Die Familie von Haen blieb bis in die 1. H. des 18. Jh. auf Ingenraedt. Jeweils durch Heirat bzw. durch die weibliche Linie ging das Anwesen in der Folgezeit bzw. bis zum Ende des 18. Jh. an die Familien von Winkel, von Wevelinghoven und von Splinter. Adelgunde von Splinter war mit Felix von Ruys verheiratet. Ihr Sohn Constantin erhielt bei seiner Heirat mit Thekla Saedt 1842 das Haus Ingenraedt. Ab 1864 Bürgermeister von Wachtendonk, Wankum und Herongen sowie historisch sehr interessiert wurde Constantin erster Präsident des 1851 gegr. Historischen Vereins für Geldern und Umgebung. Seine Tochter Emerentina von Splinter brachte Ingenraedt 1868 mit in ihre Ehe mit Rudolph Geyr von Schweppenburg. Max von Geyr Schweppenburg, 1869 geboren, war wie sein Großvater mütterlicherseits, historisch sehr interessiert. Anlässlich seiner Heirat 1903 mit Gräfin Eugenie von Villers aus Hönningen am Rhein erhielt er Haus Ingenraedt geschenkt. Seit 1906 war Max Präsident des Historischen Vereins für Geldern und Umgebung. Gem. Denkmälerverzeichnis von 1891 (Clemen 1891) war im Haus Ingenraedt eine bedeutende Gemäldesammlung untergebracht, desweiteren ein Altartisch aus dem 18. Jh. und ein Altartriptychon aus der M. des 16. Jh.. Das Triptychon wurde 1993 in den Kunsthandel gegeben, ein Großteil der Gemälde sollen im 2. Weltkrieg zerstört worden sein.
Anfang der 1930er Jahre wurde Ingenraedt an die Freiherren Büllingen-Wevelinghovem verkauft. Emilie von Büllingen-Wevelinghoven und Ihr Mann Rudolf von Loe bezogen 1932 das Haus. In der Zeit des Nationalsozialismus war Haus Ingenraedt Treffpunkt für den kath. Widerstand, den Emilie von Loe unterstützte. Der russische Jagdmaler Dimitri von Prokofieff (1879-1950) verlebte nach dem Krieg auf Ingenraedt seinen Lebensabend. Nach dem Ableben Rufolfs von Loe 1973 erbte sein Sohn Christian Karl (1933-2009) das Haus. Sein Sohn, Felix Freiherr von Loe, betreibt auf Haus Ingenraedt eine Jagd- und Hundeschule. Weiter ist das Haus für diverse Veranstaltungen (u. a. Hochzeiten) zu mieten. (Jens Wroblewski)

Bauentwicklung:

Von dem mittelalterlichen Haus Ingenraedt ist nichts bekannt. Das jetzige Haus steht auf der NW-Ecke einer langrechteckigen (ca. 114 x 80 m), allseitig von Wassergräben umgebenen Insel. Gemäß Kartenaufnahme von Tranchot-Müffling (Blattnr. 27, Straelen, Aufnahmejahr 1802/04) waren auf der W- und O-Schmalseite zwei Stichgräben vorhanden, wovon der im O noch existiert. Ob es sich hierbei um Reste eines ehem. Durchgehenden Trenngrabens zw. Einer Hauptburg im N und einer Vorburg im S handelt, ist ohne Grabungsbefund nicht zu beantworten. Eine Vorburg wird in den Schriftquellen nicht genannt. Die Zuwegung erfolgte damals wie heute von Westen.
Der heutige Bau gibt sich dem Betrachter schnell als aus mehreren Epochen entstanden zu erkennen. Ältester Bauteil ist jenes, zwei Fensterachsen breite Backsteinhaus mit geschweiftem Stufengiebel und fünfseitigem Eckturm mit Glockendach. Wappenstein und Maueranker geben die Datierung 1627. Jünger sind ein rückwärtiger Saalanbau mit der Kapelle. Des Weiteren ein nach Osten angebauter Flügel. Zw. 1863 und 1891 erfolgte ein zweiter, dreigeschossiger Anbau nach Ost, der 1902 aufgestockt und ein Türmchen erhielt. 1910 wurde ein zusätzlicher, dreigeschossiger Trakt erbaut, der Waschküche, Bad und Vorratszimmer beherbergte. Alle Anbauten fügen sich bezogen auf den Kernbau von 1627 zu einem harmonischen Ganzen. Ein bemerkenswerter Baumbestand in der Hausumgebung kündet noch von dem im 19. Jh. angelegten Landschaftspark.
Südlich der Herrenhausinsel gab es auf annähernd gleich großem Areal eine offenbar barock gepägte Gartenanlage, von der keine Reste mehr erhalten sind. (Jens Wroblewski)

Baubeschreibung:

Verstärkt seit dem 16. Jh. erfahren diverse spätmittelalterliche Häuser/Burgen am Niederrhein die Umwandlung zu repräsentativen/schlossähnlichen Landsitzen ohne großen Verteidigungswert.
Hierzu zählt auch der kleine, gelungene Neubau des Hauses Ingenraedt von 1627, der mittelalterliche Wehrelemente, in diesem Fall einen Eckturm, als verzierendes Element für seine Zwecke neu interpretiert. Ob Reste des spätmittelalterlichen Hauses mit verwendet wurden, ist am bestehenden Bau nicht ablesbar.
Das Herrenhaus steht auf der NW Ecke der längsrechteckigen, von Wassergräben umgebenen Insel.
Der Kernbau des 17. Jh. auf rechteckigem Grundriss ist NW-SO orientiert, zweigeschossig mit geschweiften Stufengiebeln und fünfeckigem Turm auf der S-Ecke. Wappenstein und Maueranker datieren das Haus auf 1627. In späteren Jahrhunderten, zuletzt 1910, wurde das Haus nach NW und NO durch Anbauten erweitert. Diese fügen sich harmonisch ein und ergeben ein malerisches Bauensemble. Der erhaltene Baumbestand ist der Rest einer im 19. Jh. angelegten Parkanlage. (Jens Wroblewski)